Ein bisschen ist es wie mit dem Nichts in Michael Endes Roman "Die unendliche Geschichte": Still und leise breitet es sich aus. Selbst wenn man direkt davor steht, ist es gar nicht richtig zu fassen. Alle, die es nicht betrifft, denken gefährlich lange, es wird sie schon nicht treffen. Doch aktuell breitet es sich mit rasender Geschwindigkeit aus in der fantastischen Sportwelt, viele stehen gerade vor diesem Nichts und kämpfen verzweifelt dagegen an. Der Unterschied dieser realen Welt zu der von Endes Geschichte: Diesmal gibt es keinen Elfenbeinturm, wo man um Rat fragen könnte, und keinen Retter, der eine neue, schönere Welt aufbauen wird.
Wer nur Fußball-Bundesliga auf Sky guckt und die NFL auf Dazn, bekommt davon nichts mit. Der Spitzensport lenkt eher noch davon ab, dass unter ihm die Sponsoren ihre Unterstützung immer öfter kürzen oder sie ganz aussteigen, und dass Gesellschafter keine Lust mehr haben. Die Lokalpolitik reagiert manchmal halb-, manchmal kaltherzig, wenn es darum geht, eine Mannschaft zu retten - fast so, als ob das oft Jahrzehnte alte Aushängeschild der Stadt nichts mehr wert ist. Betroffen sind zurzeit vor allem Hallensportarten im Profibereich sowie der Fußball in der dritten Liga wie auch in der Regionalliga. Aber lange nicht nur diese. Es droht ein finanzieller Einbruch in einem Ausmaß, der die deutsche Sportlandschaft verändern könnte.
Besonders extrem ist die Situation im Basketball, alle vier bayerischen Vereine in der Bundesliga sind betroffen. Den Anfang machte zu Jahresbeginn Medi Bayreuth mit dem Aufruf, "die Ärmel hochzukrempeln", um finanzielle Lücken zu schließen. Eine Woche später kündigte Geschäftsführer Johannes Feuerpfeil seinen Rückzug an, wiederum eine Woche später, nach 39 Jahren, der Alleingesellschafter und geistige Vater des Klubs, Carl Steiner. Ebenfalls im Januar verkündete Hauptgesellschafter Brose den Ausstieg in Bamberg zum Saisonende. Die Würzburger Basketballer machten Mitte Februar publik, dass sie um die Lizenz für die kommende Saison bangen. Im Sommer 2022 war Hauptsponsor s.Oliver ausgestiegen. "Uns fehlt ein siebenstelliger Betrag. Wenn wir das nicht kompensieren können, ist es nicht mehr möglich, auf demselben Niveau wie in der laufenden Saison Bundesliga zu spielen", sagt Geschäftsführer Steffen Liebler zur SZ.
Die Würzburger Kickers wenden den "Kollaps" ab, müssen aber ihr DFB-Nachwuchsleistungszentrum aufgebenWie überall bewirken Hilferufe ein bisschen etwas, aber in allen Fällen kann das Niveau tatsächlich nicht gehalten werden - ein schleichender Prozess. Übrigens eine Entwicklung, die auch vor dem großen FC Bayern nicht Halt machte: Dort stieg die Baywa nach langjährigem Engagement bei den Basketballern eine Sponsorenstufe nach unten. Der Unterschied bei einem Verein mit solcher Strahlkraft ist freilich, dass man leichter einen Nachfolger findet, die Bayern in Form des schwäbischen Unternehmens Siegmund als Haupt- und Trikotsponsor.
Städte von der Größe Würzburgs hingegen sind aktuell stark betroffen. Der Fußballklub Kickers schrieb Anfang Januar, ein "wirtschaftlicher Kollaps" konnte nach dem Abschied des Investors Thorsten Fischer (Flyeralarm) abgewendet werden. Aber eingespart werden muss trotzdem, und so wird beim Regionalligisten nun das DFB-zertifizierte Nachwuchsleistungszentrum abgeschafft. Regionale Schlagzeilen machte kürzlich der Ligakonkurrent TSV Rain, weil der lokal ansässige Hauptsponsor Dehner ab sofort nur noch auf Breitensport setzen will. Die Nachricht löste so viel Wirbel aus, dass der Trainer und die besten Spieler verschwanden und kurzzeitig die Frage aufkam, ob die Mannschaft die Saison überhaupt zu Ende spielt.
Sponsorenmangel ist nichts Neues. Doch erst durch Corona ist aus einem schleichenden Prozess eine Rennschnecke geworden (die auch in Endes Roman ihren schnellen Auftritt hatte). Das belegen Fälle wie jener der Volleyballerinnen von Nawaro Straubing, die kürzlich einen Insolvenzantrag stellten und erklärten, dass die Pandemie "ein Tropfen" gewesen sei, der das Fass zum Überlaufen brachte. Oder die Basketballerinnen aus Wasserburg, einst deutscher Meister in Serie. Großsponsor Meggle verkündete einen "Strategiewechsel", der Nachfolger Bauer milderte den Sturz vorübergehend ab. Seitdem sind sie in einer Abwärtsspirale, momentan auf dem drittletzten Platz der zweiten Liga.
Von der Begründung "Strategiewechsel" ist häufiger zu hören. Sponsoren selbst reden ungern darüber im Detail, so blieb etwa eine SZ-Anfrage an Dehner wegen des TSV Rain bis Dienstagnachmittag unbeantwortet. Die Manager der betroffenen Klubs zeichnen aber folgendes Bild: Viele Betriebe sind selbst von Corona geschwächt. Oftmals habe der jeweilige Unternehmer während Corona aber auch einfach gemerkt, dass er emotional gar nicht mehr so dabei ist wie früher. "Manche wollen sich den Stress einfach nicht mehr geben", sagt ein fränkischer Funktionär. An den Spieltagen sehe man im VIP-Bereich dieselben Gesichter wie früher, alle hätten Spaß, aber immer weniger von ihnen sponsern.
"Die aktuelle Generation von Unternehmern sieht nicht mehr so sehr die Verantwortung für die Region."Wenn sich ein wirtschaftliches Engagement gar nicht oder nur minimal gerechnet hat, dann entschied oft noch die emotionale oder persönliche Bindung. Diese falle aber gerade in Regionen, in denen mittelständische Betriebe den Charakter der ganzen Bevölkerung prägten, immer öfter weg: "Die aktuelle Generation von Unternehmern sieht nicht mehr so sehr die Verantwortung für die Region wie jemand, der in der Nachkriegszeit den Betrieb aufgebaut hat", sagt ein hauptamtlicher Mitarbeiter eines Basketballvereins.
Im Semiprofifußball wird kritisiert, dass immer weniger Medien berichten, das komme bei Sponsoren auch nicht sonderlich gut an. Von einigen Sponsoren selbst wiederum hört man, dass diese keine Lust hätten, eine Mannschaft zu finanzieren, bei der die Spieler oft nicht aus der Region kämen und nach einem Jahr zu einem Verein gingen, der noch mehr bezahlt. Fehlende Bindung ist in jedem Fall das Bindeglied der Begründungen.
"Kleine Standorte haben nur eine Chance, wenn Stadt, Politik und Wirtschaft den Verein kontinuierlich unterstützen", sagt Robert Hettich, der zuletzt für den Fußball-Regionalligisten FC Schweinfurt als Sportlicher Leiter tätig war - und vor wenigen Tagen seinen Rücktritt anbot. Markus Wolf nahm diesen an. Zuvor hatte sich der Präsident dazu entschieden, nach Jahren des millionenschweren Engagements den Profibetrieb auslaufen zu lassen und das Ziel Drittliga-Aufstieg zu den Akten zu legen. Der Vorwurf, dass die Stadt den Spitzensport nicht ausreichend fördere, ist auch in diesem Zusammenhang herauszuhören.
Immer sehr leise allerdings, denn meistens fördert die jeweilige Stadt ja, bisweilen in beachtlichem Umfang. Und Lokalpolitiker müssten vielerlei Interessen bedienen, das verstehen auch die Sportvertreter. Halbherziges Interesse sei oftmals nur Ausdruck der Wahlvolk-Meinung. Außerdem war vor allem im Fußball die Förderung nicht immer transparent. Wenn eine Baufirma einen Auftrag von der Stadt bekam, tauchte diese nicht selten früher oder später auf der Sponsorenliste des örtlichen Fußballvereins mit einem fünfstelligen Betrag auf. Derlei fragwürdige Dankbarkeit ist heutzutage kaum mehr zu beobachten, was nicht wenige Vereinsobere bedauern mögen
Berufsgenossenschaft, Mindestlohn, Energiepreise: Die Kosten der Klubs steigen Jahr für JahrDie Wahrscheinlichkeit, dass sich Sportförderung wirklich auszahlt, wird auch dadurch geringer, dass sie immer mehr kostet. Denn der Spielbetrieb wird für die Vereine immer aufwändiger. Beispielhaft nennt Steffen Liebler von den Würzburger Basketballern die Kosten, die an die Berufsgenossenschaft abzuführen sind: "Da steigt die Gefahrenklasse jedes Jahr", sagt er, "in der kommenden Saison sind es 70 000 Euro mehr als in der jetzigen." Hinzu kämen höhere Ausgaben wegen der Energiepreise, der Bezahlung für Security und Catering, unter anderem wegen des erhöhten Mindestlohns. Und: "Es geht auch um Lizenzbestimmungen, weiter sparen können wir gar nicht. Wir wollen nichts ausbauen, Experimente oder verrückte Sachen machen. Wir wollen einfach nur den Standard halten." Aber das werde immer schwerer.
In Ballungsräumen ist die Entwicklung schon sehr viel länger zu beobachten. Die Volleyballer des TSV Unterhaching und die Fußballer der SpVgg schmettern und kicken seit Jahren am Existenzminimum, nachdem der Versicherungsriese Generali sein Hauptsponsoring beendet hat. SpVgg-Präsident Manfred Schwabl hat für sich akzeptiert, dass es den einen, großen Geldgeber einfach nicht mehr gibt, selbst wenn die Gemeinde südlich von München noch so voll ist von erfolgreichen Konzernen. Schwabl ist seit über einem Jahrzehnt auf der Suche nach anderen Geschäftsmodellen - und bekommt dabei von der Gemeinde eher Steine in den Weg gelegt: Der Verkauf des Stadions an eine neue GmbH stockt seit Monaten, einige Lokalpolitiker halten Schwabls Pläne für "Zweckentfremdung".
Der Aufstieg des Regionalligisten in die dritte Liga, also zurück in den Profifußball, würde rein gar nichts helfen: Die Erfahrung zeigt, dass man dort erstens keine namhaften Sponsoren hinzugewinnt. Zweitens zeigt sich dort, wie auch gesamtgesellschaftlich, die weit aufgegangene Schere zwischen arm und reich. Kleine Standorte zukunftsfähig zu machen, "gelingt nicht, wenn oben die Millionen nur so zum Fenster rausgeworfen werden", sagt Hettich. Die mittlerweile gängigen Ablösesummen seien "geisteskrank". Ziel müsse eine "gerechte Verteilung der TV-Gelder von oben nach unten" sein, denn nur so könnten Nachwuchszentren gehalten werden wie jenes in Unterhaching, aus dem auch Spitzensportler wie Karim Adeyemi kommen - der mittlerweile bei Borussia Dortmund kickt.
Schwabl sagt, er predige genau das seit Jahren. Aber es hat offenbar nie jemand zugehört. Es geht ihm ein bisschen wie dem Steinbeißer aus der Unendlichen Geschichte, der vergeblich versuchte, seine Freunde vor dem Nichts zu bewahren.